„Das musste ja so kommen!“

Am Ostersonntag, so berichtet der Evangelist Lukas, gingen zwei nicht namentliche genannten Jünger aus Jerusalem nach Emmaus. Sie unterhielten sich erregt über die unglaublichen und verstörenden Ereignisse der vorangegangenen Woche. Jesus hat im Vorfeld des Passa-Festes für Aufsehen gesorgt. Er wurde gefangen genommen, und im Schnellverfahren gerichtet, verurteilt und am Kreuz hingerichtet, damit die Festlichkeiten am Sabbat nicht gestört wurden.

Die Jünger hatten das Passa-Fest in hilfloser Trauer verbracht. Allein gelassen, ihrer Hoffnungen beraubt, enttäuscht. Und während sie noch im Schockzustand waren, kamen die unglaublichen Nachrichten, dass Jesus nicht im Grab geblieben ist. Zuerst sahen den Auferstandenen die Frauen, dann die Jünger. Sie erzählten es weiter, aber kaum jemand konnte das glauben.

Auch die beiden Emmaus-Jünger haben das gehört und auf ihrem Weg versuchten sie, das Erlebte im Gespräch zu sortieren, als Jesus sich zu ihnen gesellte. Sie erkannten ihn nicht, nahmen ihn aber in ihre Gespräche mit hinein. Und im Verlauf des Gespräches heißt es:

Da sagte Jesus zu ihnen: »Was seid ihr doch schwer von Begriff! Warum rafft ihr euch nicht endlich auf zu glauben, was die Propheten gesagt haben? Musste der versprochene Retter nicht dies alles erleiden und auf diesem Weg zu seiner Herrschaft gelangen?« (Lukas 24,25-26)

Musste es so kommen?

Als Schüler in der ehemaligen Sowjetunion wurde mir im Geschichtsunterricht beigebracht, dass Weltgeschichte einer zwangsläufigen Entwicklung unterliegt. Nach den Zeiten von Herren und Sklaven kommt das Feudalsystem mit Leibeigenen. Dieses wird abgelöst durch das kapitalistische System mit der Bourgeoisie und der Arbeiter- und Bauernklasse. Der Sozialismus überwindet dieses System und führt schließlich zum Kommunismus, in der alle Menschen gleich sind und jeder glücklich ist. Wir müssten nur fest daran glauben und alles Mögliche dafür tun, damit das wahr wird.

Diese Entwicklung sei unaufhaltsam und würde am Ende zu einer kommunistischen Welt führen, erzählten die Lehrer. Eine Heilsgeschichte ohne Gott, unausweichlich wie ein Naturereignis. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich große Zweifel hatte, ob Geschichte solchen Zwängen unterliegt. Geschichte ist keineswegs eine unaufhaltsame Entwicklung zum Besseren.

Es musste so kommen!

Bei den Emmaus-Jüngern war grade eine Vision von einer Zukunft mit Jesus zusammengebrochen. Ihre Geschichte schien zu Ende. Nun erzählt ihnen Jesus, dass das, was sie erlebt hatten, genauso passieren musste. Der Retter musste leiden, er musste sterben.

Bei mir regen sich hier die gleichen Zweifel und Fragen wie in der sozialistischen Geschichtserziehung: Musste das wirklich so sein? Gott ist doch Gott! Hätte er nicht auch andere Wege zur Rettung der Menschen gehabt? Woher kommt dieses Müssen?

Ostern musste so kommen, nicht weil es ein Naturgesetz ist. Ostern musste so kommen, weil Gott es so wollte. Dieses Müssen unterliegt nicht äußeren Zwängen, sondern dem Wesen Gottes selbst. Es musste so kommen, weil Gott sich selbst treu ist. Er steht zu seinem Wort.

Jesus war dem so verpflichtet, dass er diesen Weg freiwillig gegangen ist. Er betete darum, dass ihm dieser Weg erspart bleibt. Und gleichzeitig wusste er, dass dieses Gebet nicht erhört wird. Aber er ging den Weg ans Kreuz nicht mit dem Gedanken: „Ich muss, ich habe keine andere Wahl!“. Er ging ihn mit dem Gedanken: „Ich will, dass Gottes Wille geschieht!“

Es musste so kommen. Aber Jesus handelte nicht aus dem Müssen!

Ich muss gar nichts!

Das Geschehen an Ostern befreit uns von den Zwängen der Todeslogik. Der Tod ist besiegt, und wir sind frei von der Angst vor dem Tod. Weil es „so kommen musste“, müssen wir nichts mehr. Wir dürfen nur noch!

Auch wenn die ganze Welt Angst vor dem Tod haben sollte – ich muss es nicht!

Auch wenn die ganze Gesellschaft nur an sich denken sollte – ich muss es nicht!

Auch wenn alle um mich herum sich über Leistung definieren – ich muss es nicht!

Auch wenn alle sich Sorgen machen – ich muss es nicht!

Ich möchte eine kleine Übung für die Osterzeit anregen: Beobachte deine Worte und Gedanken und notiere dir, wo du „Ich muss …“ sagst. Und dann überlege, ob du an die Sache nicht auch mit einer anderen Einstellung herangehen kannst. Vielleicht wird Ostern dann in deinem Alltag ein bisschen lebendiger.

Frohe und gesegnete Ostertage!

Heinrich Esau