Sicher gebunden
Der Mensch bindet sich und wird gebunden. Wir sind allesamt soziale Wesen mit vielen Bedürfnissen, die in uns hinein gelegt sind. Auf der Suche nach dem Stillen unserer Bedürfnisse binden wir uns. Das Gebundensein kann hilfreich sein oder auch das Leben belasten. Beim Letzteren denken wir zwangsläufig an das Gebundensein in Süchten unterschiedlicher Art, an belastete Beziehungen, an Gedankenspiralen, die uns emotional herunterziehen und einiges mehr.
Wir wissen, dass es auch ein hilfreiches Gebundensein gibt. Eine Bindung, die uns Sicherheit gibt. Sie beginnt bereits im Mutterleib. Aus dem Bereich der Forschung erreichen uns Erkenntnisse, dass die emotionale Lage der werdenden Mütter das ungeborene Leben beeinflusst. Folgerichtig ist es erstrebenswert, dass die schwangere Frau für ihr eigenes Wohlbefinden sorgt. Damit erweist sie auch dem Ungeborenen einen guten Dienst.
Nach der Geburt beginnt das erste so wichtige Jahr des Lebens. Die Art der Bindung, die hier zwischen Kind und der ersten Bezugsperson (meistens ist es die Mutter) entsteht, beeinflusst das ganze Leben des Menschen – so der aktuelle Forschungsstand. Wer hier eine sichere Bindung erlebt, hat eine wichtige Grundlage für die Herausforderungen des Lebens mit auf den Weg bekommen.
Das Kind selbst hat keinen Einfluss darauf, ob es eine sichere Bindung erhält. Es hängt alles von der erwachsenen Bezugsperson ab. In den meisten Fällen ist es die Mutter. Ihr Verhalten gegenüber dem neugeborenen Kind hat eine große Bedeutung. Allen werdenden Müttern, bei denen dieser Satz Angst vor einer so großen Verantwortung auslöst, sei gesagt, dass sie allen Grund haben, zuversichtlich zu sein. Um einem neugeborenen Kind eine sichere Bindung zu geben, braucht es kein psychologisches Studium. Die Mutter darf ihren natürlichen Impulsen vertrauen. Wenn das Kind weint, wird sie es auf den Arm nehmen, wenn es Hunger hat, wird sie es stillen. Da das Kind noch nicht sprechen kann, wird es stets weinen, wenn etwas fehlt und die Mutter wird den natürlichen Impuls haben, die Bedürfnisse des Kindes zu stillen. Die ständige Anwesenheit der Mutter und die unmittelbare Reaktion auf das Kind, gibt diesem Sicherheit. Es macht die wertvolle Erfahrung, dass es nicht allein ist.
Interessant ist, dass wir auch als erwachsene Menschen von diesem Sicherheitsgefühl leben. Wir leiden darunter, wenn wir es nicht haben. Ist es nicht da, fühlen wir uns verlassen.
Der Prophet Jesaja beschreibt es aufschlussreich. Da geht es dem Volk Israel nicht gut und es drückt ein kollektives Gefühl aus (Jesaja 49,14ff.): Verlassen hat mich der Herr, der Herr hat mich vergessen.
Gott antwortet: Vergisst etwa eine Frau ihren Säugling, dass sie sich nicht erbarmt über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde dich niemals vergessen. Siehe, in meine beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet.
Ja – es passiert, dass Mütter und Väter für die neugeborenen Kinder nicht da sind und sie verlassen. Es gibt dramatische Lebensumstände, die solche Geschichten schreiben. Diese Kinder starten ins Leben mit einer schweren Hypothek.
Das Volk Israel hat dieses Gefühl in Bezug auf Gott, und es klagt Gott an. Im Unterschied zu Säuglingen, die sich nicht äußern können, geht es hier um erwachsene Menschen, die das Gefühl des Verlassenseins haben.
Gott antwortet auf diese Klage mit einer Zusicherung. Von ihm kommt der Mutter-Kind-Vergleich. Es ist zunächst undenkbar, dass eine Mutter ihr Kind verlässt. Und doch – es passiert. Gott sichert zu, dass es bei ihm nicht passieren kann und nicht passieren wird. Niemals wird er den Menschen, den er geschaffen hat, verlassen.
Ein neugeborenes Kind ist der Mutter ausgeliefert. Es hat keinen Einfluss darauf, ob die Mutter ihm eine sichere Bindung mit auf den Weg gibt oder nicht. So geht es uns auch mit Gott. Wir haben keinen Einfluss darauf, ob er uns sicher an sich bindet. Dieser Bindungsprozess befindet sich außerhalb unserer Möglichkeiten.
Gott verlangt uns ab, dass wir ihm dieses Versprechen glauben, ihm vertrauen. Auch dann, wenn es sich anders anfühlt. Mittlerweile wissen wir, dass wir im Leben nicht vor schwierigen Situationen bewahrt bleiben. Wir machen sie alle durch, in sehr unterschiedlicher Stärke und Weise, aber alle Menschen sind davon im Laufe des Lebens betroffen.
Mit Gott an unserer Seite dürfen wir uns dem Leben stellen. Nicht voller Angst vor den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft, sondern voller Zuversicht, weil er da ist.
„Siehe, in meine beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet“. Meine Vorstellungskraft kommt an ihre Grenzen bei den vielen Milliarden von Menschen, die in den Handflächen Gottes Platz finden. Dennoch: Ich mag dieses Bild. Wir alle sind dort abgebildet. Nebeneinander, untereinander, aufeinander. Ein Gedanke entspring mir: Jeder Mensch dieser Welt könnte in Gottes Händen gleich neben mir abgebildet sein. In Gottes Händen könnten wir Nachbarn sein. Ein Grund mehr, mit allen Menschen den Frieden zu suchen.
Ich wünsche uns allen das Vertrauen in Gottes Versprechen, dass er da ist und uns sieht. Jeden Einzelnen. Du und ich – wir sind bei ihm sicher gebunden.
Hans Esau