„Die Erde ist voll von deinen Geschöpfen“

Morgens, unterwegs zur Arbeit. Ich sitze im Auto. Der Kopf voller Gedanken. Pläne und Aufgaben. Manche sind schön, auf die freue ich mich. Die notwendigen, lästigen, unangenehmen beschäftigen mich mehr. Plötzlich blendet mich ein Lichtblitz im Rückspiegel. Nein – es ist nicht das Auto hinter mir. Es ist die aufgehende Morgensonne. Ihre Strahlen haben sich durch mein Grübeln gekämpft und mich aus meiner Gedankenwelt wachgeküsst. Wie ein Augenzwinkern des Schöpfers am Anfang des Tages, das mir sagt: Hier bin ich! Lächle doch mal! Und dieser kurze Augenblick verändert meinen ganzen Tag. Der Tag ist voller Licht!

Spät abends, unterwegs nach Hause vom letzten Termin. Der Kopf voller Eindrücke des Tages und im Blick nur der Bürgersteig. Habe ich alles erledigt, was ich vorhatte? Was ist mir gelungen? Was nicht? Die vielen Stunden am PC und in den Meetings machen sich bemerkbar. Mein Nacken ist steif. Ich dehne ihn, hebe den Kopf und sehe jetzt erst die Sterne am Himmel. In einem kurzen Augenblick bin ich herausgerissen aus meiner engen Welt und bekomme eine leise Ahnung von der unglaublichen Weite, die sich mir auftut. Der Rückblick auf den Tag verändert sich. Ich bin zwar immer noch müde, aber dennoch erfrischt. Die Nacht ist voller Sterne.

Ein sonniger Nachmittag, ich fahre mit dem Rad durch den Wald. Meine Aufmerksamkeit gehört abwechselnd dem Teil des Weges bis zur nächsten Kurve und dem Fahrradcomputer am Lenkrad. Wie schnell bin ich im Vergleich zur letzten Fahrt? Was macht meine Herzfrequenz? Wie lange zieht sich der Anstieg wohl noch hin? Ich höre nur noch meinen eigenen Puls und den schweren Atem. Dann knackt irgendwo ein Ast. Außer mir ist auf dem Waldweg keiner zu sehen. Muss wohl irgendein Tier sein. Ich werde langsamer, halte schließlich ganz an und höre hin. Ich höre das Rascheln der Blätter im Baum. Ich höre das Fallen der Buchecker. Dann das Singen der Vögel. Irgendwann höre ich sogar die Unterschiede in den Vogelrufen. Und langsam fällt es mir wieder ein: Eigentlich wollte ich in den Wald, um in der Natur zu sein und nicht um gegen die Uhr zu fahren. Der Wald ist voller Leben, die Luft voller Musik.

Ein Treffen in der Kirche. Ich sitze mit den Teenies vom Gemeinde-Unterricht in einer Runde. Wir behandeln das Thema „Schöpfung“. Um das Gespräch anzuregen und die Kreativität herauszufordern habe ich die Frage in die Runde geworfen: „Was würdet ihr an der Schöpfung verbessern?“. Als tief gläubiger Mensch habe ich eigentlich ein bisschen Angst, Gott Verbesserungsvorschläge zu machen. Aber ich will die Frage ja nur didaktisch nutzen und hoffe, dass die Teilnehmer am Ende zum Schluss kommen, dass es an der Schöpfung nichts zu verbessern gibt; wir eigentlich mehr aufpassen müssen, dass wir sie nicht kaputt machen. Die gute Schöpfung bewahren, und so weiter. Dann meldet sich ein Mädchen: „Warum gibt es so viele Mücken, die Blut saugen? Wenn sie schon stechen müssen – warum können sie nicht lieber Fett saugen?“ Ich glaube immer noch, dass die Schöpfung gut ist. Aber diesen kleinen Verbesserungsvorschlag an den Schöpfer trage seither mit mir.

Die Welt ist voll kreativer Menschen mit ausgefallenen Ideen. Vielleicht sind einige etwas praktikabler als andere. Vielleicht gibt es darunter auch welche, die uns helfen, Lebensräume zu schützen, Kriege zu beenden, das Miteinander lebenswerter zu gestalten.

„Die Erde ist voll von deinen Geschöpfen, Gott.“ Das Licht des Tages, die Sterne in der Nacht, der Gesang der Vögel, das Grün der Blätter – und ich, und du, und alle anderen Menschen – wir gehören dazu! Gott, der Schöpfer, hat uns alle geschaffen. Möge er uns helfen, so zu leben, dass wir uns an der Schöpfung freuen können und er selbst sich an uns.

Heinrich Esau