Wir warten…

Zugegeben – ich warte nicht gerne. Daher versuche ich, meine Mitmenschen nicht warten zu lassen. Unpünktlichkeit ärgert mich oft, andererseits verblüfft es mich, wenn Menschen mit dem Warten keine Schwierigkeiten haben, sondern entspannt bleiben können. Mich macht warten ungeduldig, es macht mich unruhig, weil ich glaube, Zeit zu verlieren.

Die letzten Jahre haben unsere Fähigkeit zum Warten herausgefordert. Wir waren schon so daran gewöhnt, die meisten Dinge des Lebens in sehr kurzer Zeit zu bekommen. Sogar Onlinekäufe wurden zeitweise am nächsten Tag geliefert. Auch wenn das heute bei einigen Produkten noch möglich ist, stellen wir fest – die Lieferketten sind verändert – andere sagen gestört – und normale Güter sind nicht mehr sofort verfügbar. Wir Verwöhnten müssen warten lernen.

Dabei muss Warten nicht zwangsläufig negativ gedeutet werden. Gott – so scheint es mir – möchte uns hier etwas zumuten. Der letzte Monat im Jahr erinnert uns durch die immer wiederkehrende Adventszeit, dass das Warten zum Leben gehört. In diesem Fall hat es nichts mit materiellen Gütern zu tun. Hier geht es um mehr, um viel mehr!

Deutlich wird das in der folgenden biblischen Begebenheit, nachzulesen in Evangelium nach Lukas, 7,18f.: „Und Johannes rief zwei seiner Jünger zu sich und sandte sie zum Herrn und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“

Das Volk Israel wartete seit langer Zeit auf ihren Retter, ihren Heiland. Er wurde ihnen in der hebräischen Bibel vorhergesagt und versprochen. Wie sollten sie ihn erkennen? Wann würde er kommen? Was konnten sie von ihm erwarten? Seit Jahrhunderten waren sie mit diesen Fragen konfrontiert. Eine Generation gab den fragenden, wartenden Zustand an die nächste weiter. Welche Generation würde es treffen? Wer würde den Retter Israels erleben dürfen? Die biblischen Vorhersagen reichten nicht aus, um alle Fragen zu beantworten. Und so warteten die Menschen auf ihren Retter und warteten. Als er dann kam, erkannten sie ihn nicht, weil er ganz anders war als sie es sich vorstellten. So reagierten viele Menschen auf Jesus mit Ärger und Ablehnung und Verleugnung. Sie taten das, was wir Menschen gelegentlich so machen, wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt werden. Das Warten hat oft mit „Erwarten“ zu tun. Wir machen uns ein Bild davon, was auf uns zukommt. Wenn es dann anders kommt, sind wir enttäuscht.

Jesus kam und war dann doch ganz anders als es sich die Menschen gedacht hatten.

Wir lernen jedes Jahr aufs Neue, dass wir auf Unerwartetes stoßen. Jedes Jahr bringt Erfahrungen mit sich, die nicht zu erwarten waren. Schweres wie Gutes. Persönliche Schicksale erleben wir genauso unerwartet wie schöne Überraschungen, mit denen wir nicht gerechnet haben.

Letzteres ist leichter zu verdauen. Das Schwere hätten wir so gerne nicht erlebt. Meine Frau erzählte mir kürzlich, sie habe die Weihnachtsdekoration aus dem letzten Jahr nicht ganz weggeräumt. Eine Engelsfigur hat sie stehen lassen, um sich täglich zu erinnern, dass Gott da ist – auch wenn wir Schweres erleben. Wir blickten gemeinsam auf das Jahr zurück und stellten fest, dass wir den Gedanken, dass Gott da ist, sehr nötig hatten, wie viele Menschen um uns herum auch. Wir zählten die schweren Dinge dieses Jahres für uns auf und merkten, dass wir nicht lange überlegen mussten, um uns an sie zu erinnern. So geht es vielen Lesern dieses Textes vermutlich auch.

Zurück zur biblischen Geschichte. Die Jünger des Johannes führen ihren Auftrag aus und konfrontieren Jesus mit der Frage, ob er der sei, der da kommen sollte. Jesus antwortet: „Geht und verkündet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium gepredigt. (Lukas 7,22f.)

Jesus ist der, auf den das Volk Israel gewartet hat. Er war anders, als sie es erwartet hatten, aber er war der Retter, der dem Volk Israel versprochen wurde.

Wir warten heute anders. Wir warten symbolisch und dennoch ist es ein Warten. Worauf eigentlich?

Im Deutschen gibt es das Wort „harren“. Ich mag es ganz gerne. Dieses Wort gibt dem Warten eine Note der Sehnsucht. Wir warten nicht neutral auf eine Banalität, sondern haben dabei eine innere Erwartung.

2000 Jahre nach Jesu Geburt wissen wir aus den Evangelien von den damaligen geschichtlichen Ereignissen. Hier ändert sich nichts. Anders ist es in unserem Leben. Mit Blick auf Jesus kann unser Warten mit Inhalt gefüllt werden.

Inhalt ist es bei dir? Was brauchst du? Worin hast du Mangel? Worüber freust du dich? Wo hast du Überfluss? Was erwartest du?

Ich wünsche uns ein heilsames Warten, ein Harren der Gaben, die Gott uns zu schenken vermag. Was auch immer es sein mag, was wir von oben bekommen – es wird immer etwas sein, was uns mehr Frieden bringen soll und mehr Zuversicht und was die Hoffnung nicht versiegen lässt. Also harren wir gemeinsam der guten Dinge, die uns von oben voller Güte erreichen. Gott segne uns alle!

Hans Esau