Die Sprache der Guten Nachricht
In Australien ist unter den Aborigines neben vielen anderen auch eine Sprache namens Kuuk Thaayorre (ich weiß auch nicht, wie man das ausspricht) verbreitet, die sich durch die interessante Besonderheit kennzeichnet, dass sie keine Wörter für das kennt, was wir als „rechts“ und „links“ bezeichnen. Stattdessen benutzen sie die Himmelsrichtungen, um zu erklären, wo sich der Gegenstand befindet, von dem die Rede ist („Setz dich, der Platz südwestlich von mir ist noch frei“). Für Muttersprachler ist es daher eine Selbstverständlichkeit, sich auch in ihrem Alltag jederzeit anhand der Himmelsrichtungen orientieren zu können.
Springen wir mal etwas gen Westen in das Land Namibia und betrachten als zweites Beispiel die Himba, eine Volksgruppe, die zwar keine unterschiedlichen Wörter für die Farben Grün und Blau haben, sehr wohl aber eine Vielzahl von Begriffen für die verschiedenen Schattierungen und Töne jener Farben. Die Himba haben dementsprechend große Schwierigkeiten damit, Blau und Grün voneinander zu unterscheiden, erkennen leichte Abweichungen innerhalb dieser Farben aber deutlich besser als wir Europäerinnen und Europäer. Besonders spannend: Die Kinder der Himba sehen diese Farben noch so wie wir auch, erst im Laufe des Erwachsenwerdens verlieren sie diese Fähigkeit. Ein deutlicher Hinweis darauf, wie die Sprache die Wahrnehmung der Welt beeinflusst.
Ich würde darüber hinaus aber auch vermuten, dass die verschiedenen Lebensrealitäten und Erfahrungen umgekehrt ebenso die Entstehung und Entwicklung von Sprachen entscheidend prägen. So oder so denke ich, dass andere Sprachen nicht nur andere Vokabeln oder eine andere Grammatik bedeuten, sondern nicht zuletzt auch andere Umweltwahrnehmungen, Weltanschauungen und Perspektiven auf das Leben und die Bedeutung des Menschseins.
Mit meiner doch etwas längeren Einleitung möchte ich eine Perspektive auf das Pfingstwunder aufzeigen, die mir persönlich wichtig ist. Zur Erinnerung: Es geht um eine Geschichte, die sich zeitlich nach der Auferweckung Jesu abspielt. Die Jünger sind in Jerusalem versammelt, als sie unerwartet vom Heiligen Geist bewegt und erfüllt werden und daraufhin zu den Menschenmengen treten und in den verschiedensten Sprachen von ihren Erlebnissen mit Gott reden, sodass sie von allen in ihrer jeweiligen Muttersprache verstanden werden.
Man könnte jetzt meinen, dass es in dieser Geschichte darum geht, dass die Sprachenvielfalt der Menschen aus Sicht Gottes eine Barriere für die Verkündigung des Evangeliums darstellt und dass die Entsendung des Heiligen Geistes sowie die Befähigung, andere Sprachen zu beherrschen, ein reines Mittel zum Zweck ist. Doch ich denke, dieses Wunder hat auch eine immense symbolische Bedeutung. Dieses Wunder würde einen ganz anderen Eindruck machen, wenn es stattdessen so abgelaufen wäre, dass der Heilige Geist alle anderen Menschen um die Jünger herum dazu befähigt hätte, von jetzt auf gleich hebräisch verstehen zu können. Der Effekt, dass alle die Inhalte verstanden hätten, die sie von den Jüngern hörten, wäre derselbe geblieben, doch in dieser Version würde das Hebräische als die Sprache des Evangeliums dargestellt werden, was bedeuten würde, dass das Verstehen der Guten Nachricht an eine bestimmte Sprache – weiter gefasst vielleicht auch an eine bestimmte Kultur, die man annehmen muss – geknüpft ist.
In der Apostelgeschichte hingegen wird beschrieben, wie sich die Jünger in ihrem Auftreten an ihr Publikum ausrichten, nicht umgekehrt. Und weiter noch, die Menschen, von denen sie gehört werden, nehmen anfangs viel stärker wahr, dass sie überhaupt in ihren Muttersprachen reden, und erst danach, was sie da erzählen.
Es geht nicht nur um eine bloße Vermittlung von Wissen, von Informationen. Das bloße Reden in anderen Sprachen ist bereits ein Anstoß für Verwirrung, Empörung, aber zugleich vielleicht auch für Dankbarkeit und das Gefühl, in seiner Andersartigkeit wertgeschätzt zu werden. Ich persönlich habe vor allem in meinem Auslandsjahr in Malawi die Erfahrung gemacht, wie erfreut andere Menschen sein können, wenn man sich als Fremder auf ihre Sprache einlässt und dass es in solchen Momenten oft nicht einmal darum geht, was man in dieser Sprache überhaupt sagen will.
Das europäische Christentum hat sich in der weiterführenden Geschichte allerdings leider zu oft so aufgeführt, als würden sie die Geschichte des Pfingstwunders nicht kennen. So bestand eine der Provokationen Luthers gegenüber der katholischen Kirche in der Übersetzung der Bibel vom theologischen Latein ins Deutsche, wodurch weniger gebildete Menschen einen „unkontrollierten“ Zugang zu ihr fanden. Doch auch evangelische Glaubensrichtungen machten ähnliche Fehler, wenn sie zum Beispiel zur Zeit des Kolonialismus nicht nur die christliche Botschaft in andere Länder bringen wollten, sondern daran geknüpft auch die jeweilige Sprache und Lebensweise der Kolonialmacht.
Das alles mag mit einer Angst zusammenhängen, die heute wohl immer noch präsent ist. Die Angst, dass sich das Evangelium zu stark verändern würde, wenn man es ungeschützt mit der Vielfalt von Sprachen und damit einhergehenden Weltanschauungen, Kulturen und Lebensrealitäten verschmelzen lässt. Und ja, daran stimmt zumindest, dass sich die Lesart der Bibel mit jeder Übersetzung ändert, dass die Traditionen in anderen Kulturräumen nicht mehr dieselben sind, dass sich der Glaube mit neuen Lebenserfahrungen entwickelt.
Gleichzeitig glaube ich aber auch daran, dass all das den Kern des Evangeliums niemals umkehren kann und dass wir als Gläubige die Verantwortung haben, uns an der frohen Botschaft festzuhalten und nicht, sie zu beschützen. Ich vertraue in meinem Glauben darauf, dass das Evangelium Gottes so anpassungsfähig wie unzerstörbar, so vielfältig wie wahr und so unverrückbar wie weich ist – ganz gleich dem Wasser, das als Fluss seinen Lauf an seine Umgebung anpasst und dabei sein Wesen und seine Gesetzmäßigkeit niemals verliert.
Marvin Esau